PAIR Finance-Jurist Mathias Kadler: „Als Fintech haben wir Vorteile im Umgang mit dem neuen Inkassorecht“

Das Berliner Fintech PAIR Finance disruptiert seit 2016 den Inkassosektor. Mit KI, Verhaltenspsychologie und Data Science entsteht hier erstmals ein digitales, selbstbestimmtes Kundenerlebnis für Menschen mit offenen Rechnungen. Mathias Kadler (40) ist General Counsel und eines der Gesichter hinter PAIR Finance. Der erfahrene Prozessanwalt ist seit 2018 an Bord und Teil des Management Teams. Wie es ihm gelingt, die Zukunft der Inkassobranche zu gestalten, erklärt er im PAIR Faces-Interview. 

Mathias, Du bist der General Counsel bei uns und damit Hüter der Gesetze. Wie sieht Deine Arbeit aus?

Als General Counsel leite ich die Rechtsabteilung mit einem Team von aktuell zwei KollegInnen und verantworte darüber hinaus die fachliche Ausübung unserer Rechtsdienstleistung. Die Tätigkeit bei PAIR Finance ist gerade insofern besonders spannend, als dass in einem Inkassounternehmen nicht nur interne Rechtsangelegenheiten der Gesellschaft sondern auch die fachlichen Bereiche unserer Dienstleistung zu den Aufgaben der Rechtsabteilung gehört.

Wir kümmern uns daher im Wesentlichen um zwei Bereiche: 
Zum einen fungieren wir natürlich als klassische Rechtsabteilung und beraten die Geschäftsbereiche in allen rechtlichen Angelegenheiten mit Kunden und Partnern und kümmern uns um die gesellschaftsrechtlichen Themen der PAIR Finance Gruppe. 

Darüber hinaus stellen wir aber auch die Einhaltung der in der Inkassotätigkeit bedeutsamen Gebieten des Rechts, insbesondere des Bürgerlichen Rechts, des Zivilprozessrechts einschließlich des Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrechts sowie des Kostenrechts sicher. Als „Qualifizierte Person“ von PAIR Finance – eine für die Registrierung als Inkassounternehmen erforderliche Position – verantworte ich insoweit die fachliche Richtigkeit der Rechtsdienstleistung auch zum Schutze der von uns kontaktierten Verbraucher. 

PAIR Finance hat ambitionierte Ziele und möchte die Inkassoindustrie in Europa mit KI, Data Science und Verhaltensforschung verändern. Was bedeutet das für Deine Abteilung?

Wir sind ein Unternehmen, das eine große Menge an Datenpunkten verarbeitet. Dabei ist es selbstverständlich erforderlich höchsten Wert auf die Wahrung der Rechte der Verbraucher zu legen. Deshalb ist Datenschutz für das ganze Unternehmen von besonderer Bedeutung und ein Schwerpunkt der Tätigkeit der Rechtsabteilung. Daher ist in meiner Abteilung eine Person ausschließlich mit dem Thema Datenschutz befasst und wir arbeiten zudem mit einem externen Datenschutzbeauftragten zusammen. 

Da wir in unseren Prozessen auch eine sogenannte Künstliche Intelligenz einsetzen, müssen wir bei der Verarbeitung von Daten besondere technische Maßnahmen einsetzen, um die Rechte der betroffenen Personen zu wahren. Daher arbeiten unsere Modelle ausschließlich mit aggregierten Daten, die keine Rückschlüsse darauf zulassen, welche Person sich hinter einem einzelnen Inkassofall verbirgt. Beispielsweise setzen wir ein Feature ein, das berücksichtigt, ob eine E-Mail-Adresse den Vornamen und Nachnamen einer Person enthält, dabei aber nicht die tatsächliche Information selber sondern nur die abgeleitete Information „E-Mail mit Vor- und Nachname“ berücksichtigt. So können wir analytisch die Echtheit einer Adresse bewerten, ohne dafür personenbezogene Daten verarbeiten zu müssen. Solche Lösungen zusammen mit dem Tech & Data Science Team von PAIR Finance herauszuarbeiten, ist eine tolle Herausforderung für einen Juristen. 

Inkasso galt lange als nicht kundenzentriert. PAIR Finance geht komplett neue Wege und stellt den Verbraucher in den Mittelpunkt. Wie unterstützt Du dieses Ziel?

Unser Ziel ist es, die wertvolle Beziehung unserer Auftraggeber zu Ihren Kunden zu schützen. Dafür setzen wir zum einen auf die Kombination von personalisierter User Experience mit einfachen Paymentlösungen: Der Verbraucher entscheidet, wann und mit welchem Device er unsere Plattform besucht und wir liefern die individuell passende Bezahloption, egal ob Ratenzahlung, Kreditkarte oder Apple Pay. Um diesen Service ermöglichen zu können, muss die Rechtsabteilung zunächst einmal die Fachabteilungen in vielfältigen Vertragsverhandlungen beraten und fachlich unterstützen können. 

Darüber hinaus möchte PAIR Finance aber auch die Stellung der Verbraucher im Inkassoverfahren soweit wie möglich berücksichtigen. Es gehört daher nicht nur zu unseren Aufgaben, die ordnungsgemäße Inkassotätigkeit im Unternehmen zu vermitteln und zu überwachen. Vielmehr ist es nach unserer Ansicht erforderlich den Rahmen der gesetzlich erstattungsfähigen Kosten, gerade für kleine Forderungen die häufig schnell bezahlt werden, nicht auszuschöpfen sondern die Verbraucher als (Vertrags-)Partner unserer Auftraggeber ernst zu nehmen und unsere Lösungen zu reduzierten Kosten anzubieten. Zu diesen Fragen des Kostenrechts beraten wir natürlich sehr intensiv. 

„Die neue gesenkte Inkassogebühr spiegelt die Kundenorientierung wider.“

Wie geht PAIR Finance bislang mit dem gesetzlich möglichen Gebührenrahmen um? 

Inkassokosten werden oft als zu hoch empfunden. Bei zwei Dritteln der durch die Verbraucherzentralen untersuchten Verbraucherbeschwerden werden die Kosten als nicht im Verhältnis zur Leistung moniert. Obwohl die Kosten regelmäßig rechtmäßig sein werden, vermag diese hohe Ablehnung der Kosten durch die Verbraucher bereits jeden Dialog zwischen Unternehmen und Kunden zu verhindern. Und genau dort setzen wir mit unserem verbraucherfreundlichen Ansatz an. PAIR Finance hat die Kosten seiner Dienstleistung seit seiner Gründung grundsätzlich etwa 30% unterhalb der gesetzlich zugelassenen Gebühren angesetzt. Diesem Ansatz folgt nun auch der Gesetzgeber und hat mit einem Gesetz zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht genau die Reduzierung von Kosten verbindlich geregelt, die PAIR Finance seit Jahren in der Praxis lebt.

Du sprichst es an, ein neues Gesetz soll mehr Verbraucherorientierung ins Inkassowesen bringen: Welche Änderungen stehen an und was bedeutet das neue Gesetz für die Menschen?

Bundestag und Bundesrat haben Änderungen gerade in Bezug zu den erstattungsfähigen Inkassokosten beschlossen, die zum 1. Oktober 2021 in Kraft treten werden. Im Wesentlichen besagt das Gesetz Folgendes: Für die Bearbeitung von kleinen Forderungen, für Forderungen, die auf die erste Inkassomahnung hin bezahlt werden und für Forderungen, gegen die der Verbraucher keine Einwendungen vorgebracht hat, sind zukünftig nur noch deutlich reduzierte Inkassokosten erstattungsfähig. Die Kosten können erst weiter steigen, wenn der Aufwand für die Inkassodienstleistung durch eine weitere Tätigkeit wächst. Für die Verbraucher bietet das Gesetz ganz klar den Vorteil, dass alle Inkassounternehmen die Kosten für kleine Forderungen, die nicht widersprochen werden, senken müssen. 

Auch für uns bedeuten die neuen Regeln (mehr auf: bundesregierung.de) natürlich Anpassungsbedarf. Als Fintech haben wir nach unserer Ansicht aber strukturelle Vorteile im Umgang mit neuen Gesetzen. Wie schon erwähnt haben wir seit jeher eine schlanke und flexible Kostenstruktur, also müssen wir an dieser Stelle keine großen Umstellungen vornehmen. Darüber hinaus sind wir als Technologieunternehmen aber auch jederzeit in der Lage, schnell auf neue Anforderungen zu reagieren und unsere selbst entwickelte Software an alle Maßgaben der Inkassoregulierung umgehend anzupassen. 

Jeder Bereich bei PAIR Finance entwickelt sich ja kontinuierlich weiter, was sind eure Projekte in diesem Jahr?

Als Technologieführer schauen wir uns Prozesse ständig neu an, um diese effizienter zu gestalten – zum Beispiel beim gerichtlichen Verfahren. Dazu kommt es bei uns zwar sehr selten, da unsere Stärke darin liegt, individuelle Lösungen mit Verbrauchern zu finden. Gleichwohl werden wir unsere Auftraggeber, für die wir keine außergerichtliche Lösung mit ihren Kunden erreichen konnten, zukünftig mit weiteren smarten Lösungen im Bereich der gerichtlichen Durchsetzung noch besser unterstützen können.
 
Außerdem werden wir auch unsere internen Prozesse weiter digitalisieren. Insbesondere werden wir dieses Jahr eine Legal Tech-Lösung integrieren, mit der alle Abteilungen zentral Verträge erstellen, verhandeln und unseren Partner für eine digitale Unterschrift per Smartphone zur Verfügung stellen können. Die Rechtsabteilung profitiert hierbei zusätzlich von einer intelligenten Verwaltung aller Verträge, mit der wir wesentliche Kennzahlen von vertraglichen Vereinbarungen schnell und für eine Vielzahl and Verträgen zur Verfügung stellen können. 

Vielen Dank, Mathias, für Deine Zeit und die spannenden Einblicke!

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