Was kann KI im Inkasso? Dmitry Sharkov, CTO bei PAIR Finance, und Maxime Kaniewicz, Team Lead Data Science bei PAIR Finance beantworten in diesem Interview Fragen zur Schlüsseltechnologie.
Dmitry Sharkov: Wir arbeiten bei PAIR Finance schon seit 2016 mit KI-Technologie und haben hier Pionierarbeit geleistet. Das Schlüsselwort ist „Personalisierung“. Wir versuchen, die persönliche Situation der Verbraucher*innen im Rahmen einer Analyse statischer Daten und dynamischer Merkmale zu verstehen. In welchem sozialen Umfeld lebt die Person, wie ist ihr Kaufverhalten und ihr finanzielles Scoring, wann besucht sie unsere Zahlungsseite, hat sie aktiv mit uns Kontakt aufgenommen, und wenn ja, auf welche Weise? So finden wir den besten Weg für sie, ihre offene Forderung so schnell wie möglich zu begleichen. Dabei stützen wir uns auf unsere Erfahrungen mit Menschen in ähnlichen Situationen. Ohne KI wäre es nicht möglich, so präzise und effektiv zu entscheiden, wie und wann eine Person kontaktiert werden sollte, um das bestmögliche Ergebnis für beide Seiten zu erzielen.
Maxime Kaniewicz: KI ist besonders relevant und leistungsstark wenn es darum geht, sich wiederholende Probleme zu lösen, die mit einem bestimmten Input (den Daten, die der Algorithmus erhält) und Output (der Lösung, die der Algorithmus liefert) klar definiert sind. Für einen Inkassobetrieb bedeutet dies beispielsweise, dass ein KI-Modell jedes Mal, wenn eine Nachricht verschickt werden muss, genau bestimmen kann, welcher Kanal oder welche Nachrichtenvorlage am effizientesten wäre, um Verbraucher*innen zur Rückzahlung der Schulden zu bewegen. Diese Situation tritt in der Regel tausende Male pro Tag auf und ist eine klar definierte Aufgabe. Dennoch ist menschliches Fachwissen unabdingbar, um den Kontext der Nachricht zu kontrollieren: Haben wir alle Informationen aufgenommen, die wir gesetzlich benötigen? Ist die Botschaft für unsere Verbraucher*innen klar? Stimmen die Ziele des Unternehmens mit denen der KI-Optimierung überein? Die Beherrschung des Unternehmenskontextes ist der Schlüssel zum optimalen Einsatz von KI. Dazu müssen KI-Expert*innen und Unternehmenseigentümer*innen ein gutes Verständnis für die Arbeit des jeweils anderen entwickeln.
Dmitry Sharkov: Die Trainingsdaten müssen immer zuverlässig und unvoreingenommen sein. Wir verwenden verschiedene Arten von Fällen für verschiedene Arten von Trainingsmethoden, denn ein Modell, das auf einem Datensatz aus dem Online-Handel trainiert wurde, würde zum Beispiel schlechte Vorhersagen für Schulden-Fälle mit Stromrechnungen liefern und umgekehrt. Das PAIR-Team arbeitet immer viel im Voraus, indem es Analysen durchführt, Statistiken prüft und die Ergebnisse anwendet, bevor wir überhaupt mit dem Training von KI-Modellen beginnen. Dieses Maß an manuellem Input ist sehr wichtig und stellt sicher, dass unsere Modelle und die Daten, die wir verwenden, unvoreingenommen sind. Daten können manchmal sehr sensible Details über eine Person offenbaren. Deshalb achten wir bei PAIR Finance darauf, nur die Daten zu verwenden und anzufordern, die wir wirklich benötigen.
Maxime Kaniewicz: Wir setzen KI ein, um das Inkassoerlebnis für alle Verbraucher*innen zu personalisieren. Dabei ist es unabdingbar, dass diese Tools nicht diskriminierend sein dürfen, zum Beispiel aufgrund der Identität des Verbrauchers. Dies kann man am besten dadurch verhindern, dass die Möglichkeit einer solchen Diskriminierung bereits an der Datenquelle ausgeschlossen wird. So speichern wir zum Beispiel keine Informationen über die Verbraucher*innen, die nicht für den Inkassoprozess verwendet werden sollten. Wir trainieren maschinelle Lernmodelle auf Datensätzen, die anonymisiert und von allen Daten befreit sind, die – auch versehentlich – missbraucht werden könnten.
Dmitry Sharkov: Ich denke, die Zukunft der Branche könnte darin bestehen, allen Verbraucher*innen einen „Realtime Virtual Communication Assistant” zur Verfügung zu stellen, der nicht bloß auf der Website, sondern auch per SMS, E-Mail, Video Call oder WhatsApp funktioniert und menschliche Gefühle versteht. Ein solcher Assistent könnte in Echtzeit mittels Stimmungsanalyse (Sentiment Analysis) gezielt aktiv erinnern und individueller auf Anfragen eingehen als ein herkömmlicher Chatbot, weil er Gedanken, Meinungen oder Stimmungen von Verbraucher*innen aus Text-, Sprach- oder Videodaten ermittelt. Die Entwicklung in diesem Feld ist rasant und es gibt erste Tests, die zeigen, dass KI Umgebung wahrnehmen und daraufhin eine Handlung realistisch ausführen kann. Verbraucher*innen könnten künftig der virtuellen Assistenz rund um die Uhr auf ihrem bevorzugten Kommunikationsweg Fragen stellen und sogar Tipps rund um ihre Finanzen erhalten.
Maxime Kaniewicz: Ja, natürlich! Die meisten Menschen nutzen ständig KI-Produkte, ohne es überhaupt zu bemerken, denn KI ist nahtlos in viele Produkte und Dienste integriert, die wir regelmäßig verwenden. Musikempfehlungen sind wahrscheinlich die KI-Anwendung, die sich am stärksten auf mein Privatleben ausgewirkt hat. Das hat mir in den letzten Jahren ermöglicht, meine musikalischen Interessen erheblich zu erweitern. Ich würde schätzen, dass etwa 30 Prozent der Musik, die ich in den letzten Wochen gehört habe, mir automatisch empfohlen wurde. Das führt hin und wieder zu fantastischen Entdeckungen, auf die ich vielleicht nicht von selbst gekommen wäre. Vor kurzem habe ich zum Beispiel dank solcher Empfehlungen die Band „Traveling Wilburys“ entdeckt, die ich an dieser Stelle auch unbedingt empfehlen möchte!
Vielen Dank für das Gespräch.